Revolution nach 100 Jahren: die homogene Katalyse von Methanol

Von der Computersimulation in die Labore und Fabriken

Zwischen einer zündenden Idee und dem endgültigen Durchbruch stehen in den Naturwissenschaften oft tausende Experimente im Labor. Doch es geht auch anders – durch die Kombination von IT-Kenntnissen und naturwissenschaftlichem Verständnis können Simulationen am Rechner chemische Reaktionen aufs Genaueste vorhersagen und weitreichende Einsichten bedeuten. So auch für Marek Chęciński: Der promovierte Katalytiker beschäftigt sich seit 2008 mit diversen industrierelevanten Herausforderungen seines Fachgebiets, bis er 2018, fernab vom Labor, einen entscheidenden Durchbruch für die Methanolsynthese erzielte.

„Die Art, wie bis heute Methanol auf Basis der heterogenen Katalyse hergestellt wird, geht zurück auf ein Patent aus dem Jahr 1921. Die erste kommerzielle Methanolanlage weltweit hat die BASF 1923 in Leuna errichtet und dabei Zinkchromit als Katalysator verwendet. Doch seit 1947, als der Kupfer-Zink-Aluminium-Katalysator patentiert wurde, hat sich nichts Maßgebliches mehr verändert“, berichtet Marek Chęciński. Laut ihm ist die heterogen katalysierte Methanolsynthese „ausoptimiert“ – höchste Zeit für eine disruptive Innovation.
C1 Team

Was der Chemiker durch Computersimulationen ge- und erfunden hat, beschreitet völlig neue Wege – weg von der heterogenen hin zur homogenen Katalyse.

„Heterogen bedeutet, dass die Ausgangsstoffe in einer anderen Phase vorliegen als der Katalysator. Heterogene Katalysatoren haben als Feststoff oft schwer definierbare aktive Zentren an den Ecken und Kanten. Je nach Temperatur und aktivem Zentrum entstehen unerwünschte Nebenprodukte, die man aufwendig aus dem Rohprodukt abtrennen muss“, schildert Chęciński. „Bei der homogenen Katalyse arbeiten wir dagegen mit einem hochspezialisierten molekularen Katalysator in einem Flüssigreaktor: Der Katalysator ist wie das Synthesegas in der Flüssigkeit gelöst. Die Reaktion findet in derselben homogenen Phase statt und ist hoch selektiv.“ Durch das neu entwickelte homogene Katalysatorsystem konnten Reaktionsdruck und -temperatur halbiert werden – und enorm viel Energie und Kosten eingespart. Bei den Bedingungen wird das Synthesegas nahezu vollständig zu Methanol umgewandelt. Der heutige Prozess erreicht nur zehn Prozent pro Durchgang und führt das restliche Synthesegas wieder aufwendig zurück, um es erneut durch den Reaktor zu schicken.

All das bietet drei strategische Vorteile, meint Dr. Christoph Zehe, industrieerprobter Chemiker: „Die neuartige Katalyse verspricht eine größere Flexibilität, denn bislang mussten beispielsweise beim regelmäßig notwendigen Austausch des Katalysators ganze Werke herunter- und wieder hochgefahren werden. Bei der homogenen Synthese kann permanent im Betrieb Flüssigkeit entnommen und recycelt werden. Die homogene Katalyse ist zudem besser skalierbar: Kleinere und dezentrale Anlagen werden künftig dort möglich, wo es CO2-Punktquellen gibt, zum Beispiel neben Zementproduktionen oder Biomasseabfallanlagen. Und zu guter Letzt weist die Technologie eine höhere Toleranz bezüglich Verunreinigungen im Synthesegas auf, was bisher ungenutzte Synthesegasquellen erschließen hilft.“
Diese guten Aussichten führten den Wissenschaftler Chęciński zusammen mit Christian Vollmann, der zuvor bereits mehrere (Internet-)Firmen gegründet hatte und seit einiger Zeit auf der Suche nach einer sinnstiftenden Herausforderung war. 2021 trafen die beiden erstmals aufeinander und gründeten gemeinsam mit zwei weiteren Partnern, dem Chemie-Ingenieur Dr. Ralph Krähnert und Dr. Christoph Zehe, Anfang 2022 das Unternehmen C1. Das einzige Kohlenstoffatom in Methanol gibt hier den Namen – und den Ton – an.

„Methanol ist mit 100.000.000 Jahrestonnen eine der meistproduzierten Grundchemikalien und treibt eine Reihe von chemischen Produktionsprozessen an. Vor allem aber befeuert es den globalen Treibhauseffekt“, erläutert Christian Vollmann, CEO von C1. „Unser Ziel ist es, wettbewerbsfähig grünes statt fossilen Methanols herzustellen. Dazu müssten wir den Kohlenstoff aus dem Synthesegas aus überschüssiger Biomasse wie Klärschlamm, Holzabfällen oder anderen biogenen Abfallstoffen oder über die Kombination aus CO2 und grünem Wasserstoff beziehen. Und mit Methanol können wir dann vieles herstellen, für das heute Öl und Gas die Basis ist. Der Nobelpreisträger György Oláh hat bereits im Jahr 2005 die Idee zu einer nachhaltigen Methanolwirtschaft in seinem Buch ‚Beyond Oil and Gas: The Methanol Economy‘ zusammengefasst. Wir entwickeln nun einen Prozess, der dezentral skaliert werden kann, um diese Vision wahr werden zu lassen.“

„Man könnte die gesamte kohlenstoffbasierte Chemieproduktion defossilisieren und jährlich mehrere Gigatonnen CO2 einsparen. Kunststoffe, Dämmstoffe, Klebstoffe, Farben, Lacke, Kosmetik, … – die Quelle dieses Kohlenstoffs könnte grünes Methanol sein.“

C1
Auch die auf absehbare Zeit auf Verbrennungsmotoren angewiesene Schifffahrt könnten dadurch in weiten Teilen CO2-neutral werden. Während in China und Indien bereits heute signifikante Mengen an fossilem Methanol als Treibstoff für Verbrennungsmotoren eingesetzt werden, sucht die Schifffahrt händeringend nach Treibstoffen, die in ausreichendem Maße verfügbar sind, die perspektivisch aber auch CO2-Neutralität ermöglichen. „Wenn hier in Zukunft grünes Methanol genutzt würde, könnte dies einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten“, ist Vollmann überzeugt. Entsprechende positive Signale und Interesse gibt es bereits aus der Containerschifffahrt.

Mit der Validierung durch die SPRIND verfolgt das Team derzeit erstmal ein Etappenziel auf dem Weg dahin: „Leuna gilt als die Wiege der kommerziellen Methanolproduktion“, erzählt Ralph Krähnert, Experte in chemischer Verfahrenstechnik. „Wir möchten genau dort 100 Jahre später unsere Pilotanlage einweihen und erneut Geschichte schreiben.“

Dafür ist die C1-Führungsspitze bestens aufgestellt. Mit ihrer Gründung sehen sie sich auch als Vorbilder für ihren jeweiligen Stand: „Wir haben in Deutschland so viel tolle Wissenschaftler:innen mit wahnsinnig guten Ideen, wir sind aber nicht besonders gut darin, das wirtschaftlich zu machen“, findet Vollmann. „Dabei können wir viel voneinander lernen und am besten gemeinsam erfolgreich sein. In der Kombination von Kaufleuten, Naturwissenschaftler:innen und Ingenieur:innen liegt großes Potential.“


Mehr über C1: www.carbon.one

SPRIND PODCAST #45: CHRISTIAN VOLLMANN

Vom 28. November 2022

Was ist grünes Methanol? Wie ist es einem kleinen Start-up gelungen, die Methanol-Katalyse zu revolutionieren? Und warum könnten wir uns mit einer Methanol-Ökonomie komplett aus der Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas befreien? Unser Host Thomas Ramge spricht mit Christian Vollmann, Mitgründer von Carbon One.

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