Die Fusionsforschung galt lange Zeit als Grundlagenforschung. Mittlerweile haben die leistungsstärksten Supercomputer, Fortschritte in der Entwicklung Künstlicher Intelligenz, neue Laserdioden oder Hochtemperatursupraleiter die Fusion einer kommerziellen Anwendung jedoch deutlich näher gebracht. Diese technologischen Entwicklungssprünge haben im Zusammenhang mit einer kontinuierlich wachsenden Nachfrage nach Energie in den letzten Jahren erstmals auch private Kapitalgeber zu Investitionen in die Fusionsindustrie motiviert. Weltweit konnten 43 Start-ups aus dem Bereich der Fusion, davon 4 in Deutschland, in Summe über sechs Milliarden Dollar an privaten Investitionen einsammeln (Fusion Industry Association 2023).
Die Start-ups verfolgen eine sehr breite Palette von technologischen Ansätzen und jedes Start-up einen eigenen. Durch die verschiedenen Technologien, die über alle Start-ups hinweg erforscht werden, steigen die Chancen, dass schnell ein wirtschaftlicher Ansatz gefunden wird. Im jetzigen Entwicklungsstadium ist es aber noch nicht möglich vorherzusagen, welche Technologien letztendlich den Markt erreichen werden. Daher ist die Fokussierung auf eine oder wenige Technologien heute nicht wissenschaftlich begründbar und auch nicht zu empfehlen (Metzler und Messinger 2023).
Damit Deutschland im Rennen um die beste Technologie bleibt und seine technologische Souveränität in Schüsseltechnologien bewahren kann, muss der Staat entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Diese Rahmenbedingungen sind eine Mindestanforderung an das politische Handeln und betreffen vor allem die Regularien und die Gestaltung der Ausbildung in Hochschulen und Unternehmen. Darüber hinaus sollte der Staat gezielt Anreize für die Wirtschaft setzen und Risiken reduzieren, indem sowohl ausbildende Organisationen als auch die Industrie strukturell durch die Bildung von konzentrierten Fusionshubs mit lokalen Ökosystemen unterstützt werden.
Es müssen verlässliche und risikoangepasste regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden. Bei Fusionskraftwerken existieren nur wenige Gefahren, die zudem auch ein deutlich geringeres Risiko aufweisen als bei Kernspaltungskraftwerken. Wenn bereits jetzt ein gesetzlicher Rahmen geschaffen wird, der auf das Gefahren- und Risikoprofil von Fusionskraftwerken zugeschnitten ist, kann ein planbares, vertrauenswürdiges Umfeld für die Start-ups und deren Investoren geschaffen werden. Zu strenge Vorschriften aus der Regulierung von Kernspaltungskraftwerken zu übernehmen, triebe die Kosten für Fusionskraftwerke in die Höhe. Nicht zuletzt erhöhen strenge Vorschriften auch die Wahrscheinlichkeit, dass deutsche Start-ups erste Erfolge im Ausland erzielen werden, denn die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich arbeiten bereits an der fusionsspezifischen Anpassung ihrer regulatorischen Rahmenbedingungen. Die beiden Länder verkündeten zudem vor kurzem, dass sie eine eigene gemeinsame Fusions-Entwicklungspartnerschaft geschlossen haben (Leake 2023).
Die Expertise, die in Deutschland in bestimmten Bereichen der Grundlagenforschung schon auf Weltspitze vorhanden ist, muss weiter ausgebaut und ergänzt werden. Jenseits der Physiker:innen, die sich mit den physikalischen Prozessen hinter der Fusionsenergie befassen, werden zukünftig zum Beispiel auch Ingenieur:innen, Anlagenbauer:innen oder Materialwissenschaftler:innen mit Spezialwissen benötigt, um die Prozesse großskalig umzusetzen und Kraftwerke zu entwickeln. Mit einer breitgefächerten Ausbildung in Deutschland kann eine starke internationale Position erreicht werden, indem auch andere und zukünftige Fusionstechnologien kompetenter bewertet werden können.
Der Zeit- und Kostenplan des Versuchs-Fusionsreaktors ITER wurde in den letzten Jahren mehrfach revidiert. Daran lässt sich erkennen, wie bei komplexen Rahmenbedingungen, mit Ausschreibungspflichten, ineffektiver Zusammenarbeit, politischer Diplomatie und einer fehlenden Marktausrichtung, die mit einer rein staatlichen Finanzierung und langfristigen Forschungsplänen einhergehen, ein potentiell exzellentes Projekt ausgebremst wird.
Getrieben durch ihre privaten Investoren verfolgen die Fusions-Start-ups eine strikt einzuhaltende, meilensteinbasierte Roadmap und arbeiten sehr zielgerichtet an der Wirtschaftlichkeit ihrer Fusionskraftwerke. Anders als staatlich finanzierte Projekte können sie ihre Strategie sehr flexibel und schnell an neue Erkenntnisse, Technologien und Marktentwicklungen anpassen. Wird ein Meilenstein nicht erreicht, werden sofort Maßnahmen ergriffen, die ggf. zu drastischen Konsequenzen und sogar zum Aus eines Projektes führen können.
In Deutschland und Europa gibt es zudem einen sehr anpassungsfähigen und versierten Mittelstand sowie Industriekonzerne, bspw. in der Automatisierungstechnik, Sensorik, Diagnostik, Materialentwicklung, Magnettechnik oder der Photonik-/Optik-Industrie. Diese Unternehmen können sowohl Komponenten für Fusionskraftwerke als auch Plattform- und Querschnittstechnologien liefern, die für verschiedene Fusionsansätze nutzbar sind. Bei geeigneten Anreizen könnten sie die Entwicklung und Industrialisierung jenseits der reinen Fusionsforschung gemeinsam mit den Fusions-Start-ups antreiben. Dabei wären sie in dieser Konstellation deutlich schneller als einzelne Forschungseinrichtungen. Ihre Technologien können zudem Innovationen in anderen Anwendungsbereichen und Branchen auslösen und sind nicht auf die Fusion beschränkt.
Der Beitrag der öffentlichen Hand sollte auch Zugang zu Forschungseinrichtungen und -anlagen sowie zu Rechenzentren beinhalten. Vorbildliche Programme finden sich bereits in den Vereinigten Staaten oder dem Vereinigten Königreich (Hsu 2023).
Der Mittelstand sollte gemeinsam mit Industriekonzernen, Fusion-Start-ups und Forschungseinrichtungen in Kooperationsvorhaben unterstützt werden. Dabei ist wichtig, dass baldmöglichst die wirtschaftlichen Partner die Führung übernehmen und nicht die Forschungseinrichtungen. Das neue Förderprogramm des BMBF zur Förderung von Verbundprojekten ist ein erster Schritt für solche Kooperationsvorhaben, die einen Weg in Richtung Marktreife fokussieren.
Ein Important Project of Common European Interest (IPCEI) wäre ebenso ein weiterer Schritt in Richtung Markt. Ein IPCEI zum Thema Fusion könnte Zwischenergebnisse aus Fusionsgrundlagenforschungsprojekten wie ITER, JET und WendelsteinX ausschleusen und zum Aufbau von Fertigungskapazitäten in den oben genannten Industrien nutzen bzw. zum Aufbau eines Demokraftwerks führen. Ein IPCEI zum Thema Photonik könnte sowohl die Fusionstechnologie mit Nebenanwendungen als auch die Fertigung von photonischen Schaltkreisen und Sensoren in einer Strategie vereinen.
Auch andere Modelle zur Unterstützung der Zulieferindustrie sind denkbar. So finanziert SPRIND derzeit bereits die Entwicklung von Lasertechnologie mit insgesamt 90 Mio. Euro über die nächsten fünf Jahre in einer Tochter-GmbH. Eine weitere Querschnittstechnologie sind Supraleiter, die neben der Fusion auch Anwendung in der Medizintechnik, Windrädern, Elektroflugzeugen oder Hochleistungskabeln für Stromtrassen finden können.
Für die Beschleunigung der Fusionskraftwerksentwicklung müssen Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit umfangreichen Investitionen größere Zentren oder Cluster für ein aktives Ökosystem aufbauen. Diese Zentren oder Cluster benötigen entsprechende Infrastruktur, wie bspw. Rechenzentren, Messanlagen oder größere Demoanlagen. In diesem Rahmen sollten z. B. Laser-Anlagen und Raum für Tests und Experimente angeboten werden, auf die auch die Fusions-Start-ups zugreifen können sollten bzw. deren Spezifikationen sogar durch die Start-Ups gesteuert werden. Ein solcher Zugang reduziert den Kapitalbedarf der Unternehmen, unterstützt den Transfer aus der Grundlagenforschung und unterstützt vor allem auch die Entwicklung von Nachwuchs, wie bspw. beim Culham Center for Fusion Energy im Vereinigten Königreich.
In Deutschland gibt es bereits Forschungsstandorte, die hervorragend als Keimzellen solcher Aktivitäten geeignet wären, wie z. B. Darmstadt mit der Gesellschaft für Schwerionenforschung und der Technischen Universität München mit dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, dem Center for Advanced Laser Applications und zwei Universitäten, Dresden mit dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und der TU Dresden, das KIT in Karlsruhe, das Forschungszentrum Jülich oder auch Hamburg mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY). Bei all diesen Standorten wären auch Nutzer jenseits der Fusion adressierbar, vor allem bei den Laserforschungseinrichtungen.
Die Forschung hat in den letzten Jahrzehnten hervorragende Grundlagen für die wirtschaftliche Anwendung der Fusion geschaffen. Die Entwicklung von wirtschaftlichen Kraftwerken wird aber nicht als Ergebnis aus dem Forschungsbetrieb abfallen, sondern muss durch die Industrie und die Start-ups getrieben werden. Dieser Entwicklungsprozess zu einer Fusionsenergiewirtschaft muss strukturell und durch Maßnahmen öffentlich-privater Partnerschaften gestärkt und durch die Forschung flankiert werden. Da noch nicht klar ist, welche Konzepte es wirklich an den Markt schaffen und langfristig tragfähig sein werden, muss mit flexiblen, meilensteinbasierten Programmen gearbeitet werden. Es sollten zudem verstärkt Plattform- und Querschnittstechnologien früh in der Wertschöpfungskette unterstützt werden. Zwingend nötige regulatorische Rahmenbedingungen und eine verbesserte Ausbildung können nur vom Staat vorangetrieben werden und sollte daher zu seinen Hauptaufgaben gehören.
Anders als der Brennstoff heutiger Atomkraftwerke ist das Sicherheitsrisiko bei Fusionskraftwerken äußerst niedrig, da ein Fusionsprozess keine Kettenreaktion auslöst – ganz unabhängig vom Brennstoff. Die meisten technologischen Ansätze zur Erzeugung von Fusionsenergie nutzen als Brennstoff Tritium und Deuterium. Tritium und Deuterium sind sogenannte Wasserstoff-Isotope, die im Vergleich zum leichten
Wasserstoff zusätzliche Neutronen aufweisen. Nur wenige Start-ups zielen bisher darauf ab, als Brennstoff Helium- 3-Kerne oder Bor mit Wasserstoff zu kombinieren. Tritium existiert in natürlicher Form nur in kleinen Mengen auf der Erde. Es kann aber aus Lithium, welches in großen Mengen verfügbar ist, direkt im Fusionskraftwerk hergestellt werden. Tritium besitzt eine Halbwertszeit von lediglich 12,3 Jahren. Es ist nur leicht radioaktiv und zudem nur in geringen Mengen gleichzeitig im Brennraum vorhanden, sodass es sich bei einer Verteilung in der Luft zusätzlich stark verdünnen würde. Die Radioaktivität von Tritium ist derart energieschwach, dass sie menschliche Haut von außen nicht durchdringen kann (Max-Planck-Institut für Plasmaphysik 2023). Der Tritium-Kreislauf und die im Prozess entstehenden schnellen Neutronen, welche die Wände der Reaktoren radioaktiv aktivieren können, erschweren zwar das Design des Fusions-Kraftwerks, jedoch sind die anderen, nichtradioaktiven Brennstoffe, die kaum schnelle Neutronen erzeugen, signifikant schwerer zu fusionieren.
Es werden vorwiegend zwei Pfade verfolgt, um den Brennstoff zu fusionieren: langfristiger Einschluss des zu fusionierenden Plasmas durch externe Magnetfelder, sog. Magneteinschluss, oder kurzfristiger Einschluss durch die Trägheit der involvierten Masse selbst, sog. Trägheitsfusion. Dazu kommen verschiedene Zündmechanismen.
Beim Magneteinschluss wird in großen ringförmigen Anlagen mit verschiedenen Techniken das erzeugte Plasma aufgeheizt und durch eine Vielzahl supraleitender Magnete zusammengehalten. Die zwei prominentesten Ansätze sind der sog. Tokamak (einfache Geometrie plus externer Strom) und der Stellarator (komplexe Geometrie). Der Tokamak ist das am gründlichsten erforschte Konzept, das jedoch mit Plasmainstabilitäten zu kämpfen hat.
Diese Instabilitäten entstehen durch die Dynamik der wechselseitig wirkenden Magnetfelder, denn die extern angelegten Magnetfelder werden durch ein Magnetfeld im Inneren ergänzt, das durch elektrischen Strom erzeugt wird, der permanent direkt durch das Plasma geleitet wird. Der Stellarator ist zwar stabiler, benötigt aber, um auf das innere Magnetfeld verzichten zu können, ungleichmäßig gebogene Magnetspulen, deren Form nur schwer zu berechnen und herzustellen ist.
Für die Trägheitsfusion wird ein Treibstoff-Pellet meist durch hochintensive Laserstrahlen komprimiert und aufgeheizt. Je nach Konzept wir das Pellet zum Beispiel durch weitere externe Treiber wie Teilchen- oder Laserstrahlen gezündet. Der Betrieb erfolgt gepulst.
Mittlerweile ist das initiale, erstmalige Zünden des Fusionsprozesses mit wenigen Kernen grundsätzlich keine Herausforderung mehr. Die Herausforderung liegt bei allen Ansätzen aktuell vielmehr darin, den Fusionsprozess stabil auszulösen und möglichst ohne wiederholte Zündungen laufen zu lassen. Wenn sich der Fusionsprozess nach initialer Zündung selbst erhält, so wie beispielsweise in der Sonne, verbraucht seine Aufrechterhaltung weniger Energie, als durch ihn erzeugt wird, und das Kraftwerk beginnt wirtschaftlich zu werden. Kritische Bestandteile sind unter anderem die Lasersysteme oder auch herkömmliche Magnete, die aktuell energetisch ineffizient sind.
In Deutschland existieren bereits mehrere Fusions-Start-ups: Proxima Fusion und Gauss Fusion – jeweils mit dem Ziel, einen Stellarator (Magneteinschluss) zu entwickeln, sowie Focused Energy und Marvel Fusion, die mit unterschiedlichen Herangehensweisen die Laser(trägheits)fusion verfolgen. Dazu kommt die SPRIND-Tochter Pulsed Light Technologies.
Die Pulsed Light Technologies GmbH (PLT) ist eine hundertprozentige Tochter der SPRIND und soll über die nächsten fünf Jahre ein Darlehen in Höhe von ca. 90 Millionen Euro aus dem SPRIND-Haushalt erhalten. PLT entwickelt keine Produkte, sondern Demonstratoren / IP von Kerntechnologien, die für zukünftige Laserhersteller oder andere Zulieferer das hohe technische Risiko und indirekt auch das wirtschaftliche Risiko im derzeit sehr unsicheren Markt reduzieren.
Ziel der PLT ist es, die für eine lasergetriebene Fusion notwendige Infrastruktur zu entwickeln. Es sollen Themen bearbeitet werden, die für die Fusion zwingend nötig, aber nicht Kernentwicklung und Kern-IP derjenigen Start-ups sind, die auf die Entwicklung eines Fusionskraftwerks abzielen.
Aktuell werden in Zusammenarbeit mit den in Deutschland ansässigen Laserfusions-Start-ups Lasersysteme entwickelt, die deren zentrale Elemente der nachweisen, die für einen späteren Kraftwerksbetrieb nötig sind. Die beiden Kooperationspartner Marvel Fusion (München) und Focused Energy (Darmstadt) verfolgen im Detail unterschiedliche Ansätze, die auch unterschiedliche Anforderungen an die Lasersysteme stellen.