BOCK AUF ZUKUNFT

Seit drei Jahren gibt es die Bundesagentur für Sprunginnovationen. Wir blicken gemeinsam mit der Geschäftsführung, Berit Dannenberg und Rafael Laguna de la Vera, zurück und nach vorn.

WARUM BRAUCHT ES SPRIND?

RAFAEL LAGUNA DE LA VERA: Wir leben in Deutschland heute überwiegend noch vom Wohlstand, der seinen Ursprung im Erfindungs- und Gründungsboom der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat: Apotheke der Welt, Chemiefabrik der Welt, Autofabrik der Welt. In dieser Zeit haben wir neue Industrien erfunden und groß gemacht. Das ist uns in dieser Form in den letzten knapp 80 Jahren nicht mehr so gut gelungen. Die heute relevanten Unternehmen und Industrien - insbesondere Hard- und Software - sind in den USA und Asien entstanden beziehungsweise groß geworden. SPRIND soll mithelfen, dass wieder neue Industrien in Deutschland entstehen und dass diese ihren volkswirtschaftlichen Nutzen hier entfalten.

WAS MUSS BESSER WERDEN?

BERIT DANNENBERG: Es mangelt uns nicht an Talent und gut ausgebildeten Köpfen, die etwas bewegen wollen. Die Grundlagenforschung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist Weltspitze. Allerdings haben wir es verlernt, aus neuem Wissen auch neue, innovative Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen zu machen. Ein klein wenig sind wir jetzt auch Opfer des eigenen Erfolgs, weil Auto-, Elektro-, Chemie-, Maschinenbau- und andere Industrien in den letzten Jahrzehnten so überaus erfolgreich darin waren, mit schrittweisen Verbesserungen im globalen Wettbewerb zu brillieren. Zukünftig wird das jedoch nicht reichen. Um Wertschöpfung und technologische Souveränität in den nächsten Jahrzehnten zu sichern, brauchen wir auch in Deutschland und Europa wieder echte Innovationen und Unternehmen, die diese neuen Technologien beherrschen.

WELCHE AUFGABE HAT DABEI EINE BUNDESAGENTUR?

RL: Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht ist es eben nicht so, dass die großen Innovationen einfach so im freien Markt entstehen. Das gilt auch für die USA. Die staatliche Innovationsagentur DARPA - 1958 von Präsident Eisenhower zusammen mit der NASA gegründet, um angesichts des Sputnik-Schocks das „Space Race“ gegen die Sowjetunion zu gewinnen - gilt heute als Geburtshelfer für die Hard- und Softwareindustrien im kalifornischen Silicon Valley. Entscheidend dafür war und ist, dass die DARPA die Weiterentwicklung neuer Technologien in der Phase finanziert, in der noch kein privater Kapitalgeber bereit ist, das finanzielle Risiko zu übernehmen.

BD: Dieses DARPA-Prinzip hat sich SPRIND zu eigen gemacht. Denn auch SPRIND finanziert das „Tal des Todes“ zwischen Grundlagenforschung und Marktreife. Dabei konzentrieren wir uns auf technische Innovationen, die das Potential haben, unser Leben entscheidend zu verbessern und neue Industrien in Deutschland zu begründen. Bei der Wahl der Themenfelder sind wir offen, solange sie primär zivilen Zwecken dienen.
Rafael Laguna de la Vera und Berit Dannenberg
Rafael Laguna de la Vera
WAS MACHT IHR NEU UND ANDERS?

RL: Neben den Projekteinreichungen, wo wir themenoffen inzwischen mehr als 1.000 Vorschläge gesichtet und bewertet haben, haben wir mit den SPRIND Challenges ein neues Werkzeug geschaffen, um damit gezielt nach Lösungen für bestimmte technische Fragestellungen zu suchen, die von gesellschaftlicher Relevanz sind. Im Gegensatz zu den bislang praktizierten Innovationswettbewerben finanzieren wir nicht nur ein oder zwei Teams zu einem Thema, sondern bis zu zehn Teams parallel mit unterschiedlichen Lösungsansätzen. Auch können wir nun Teams finanzieren, die nicht nur aus dem üblichen „Förderempfangskreis“ kommen, also auch Start-ups, KMUs und Einzelpersonen.
Nach jedem Jahr bewerten Fachleute den Fortschritt des Teams und entscheiden, ob und welches Team auch im kommenden Jahr eine Finanzierung erhält. Auf diese Weise müssen wir uns nicht vorab auf eine einzige Technologie festlegen, können unterschiedliche Lösungswege beschreiten und sehen, welcher zum besten Erfolg führt. Um diese „Parallelfinanzierung“ beihilferechtskonform zu realisieren, verwenden wir ein innovatives, neues Finanzierungswerkzeug, die „vorkommerzielle Auftragsvergabe“. Bis heute haben wir insgesamt vier SPRIND Challenges zu unterschiedlichsten Themen gestartet, für die sich Teams aus dem In- und Ausland beworben haben.

WELCHE FINANZIERUNGSWERKZEUGE HAT SPRIND?

BD: Die rechtlichen Grundlagen der SPRIND sehen vor, dass wir für Projekte mit Sprunginnovationspotential nach Genehmigung durch den SPRIND-Aufsichtsrat eine Tochter-GmbH gründen, die der Bund über mehrere Jahre hinweg mit großvolumigen Darlehen von mehreren zehn Millionen Euro unterstützt. Um das Sprunginnovationspotential zu prüfen, können wir im Vorfeld einer GmbH-Gründung sogenannte Validierungsaufträge vergeben. Bislang haben wir mehr als 40 Validierungsaufträge vergeben und finanzieren sechs Tochter-GmbHs.

DAS KONSTRUKT DER TOCHTER-GMBHS BEGEISTERT NICHT ALLE INNOVATOR:INNEN ...

RL: Das ist richtig. Die Praxis hat gezeigt, dass die Tochter-GmbH in vielen Fällen nicht passt oder zu unflexibel ist, beispielsweise wenn im Rahmen einer Anschlussfinanzierung privates Kapital aufgenommen werden soll oder wenn die Mitarbeiter:innen am Unternehmenserfolg beteiligt werden. Aus diesem Grund freuen wir uns, dass diese Notwendigkeit zur Weiterentwicklung der SPRIND-Werkzeuge auch seitens der neuen Bundesregierung bestätigt wurde, die in ihrem Koalitionsvertrag in Aussicht stellt: „wir werden die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für die Agentur für sprunginnovationen umgehend substanziell verbessern, damit sie freier agieren und investieren kann.“ Dies soll nun im Rahmen eines Gesetzes erfolgen, das SPRIND eine Flexibilisierung bei den Finanzierungsinstrumenten und den haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen bringen wird, sodass wir unsere Aufgaben effizienter und agiler fortführen können.

„SPRIND möchte eine maßgeschneiderte, staatliche F&E-Projektförderung etablieren, ohne starre Fördermittelrichtlinien.“

WELCHE ZUSÄTZLICHEN FINANZIERUNGSWERKZEUGE WÜRDEN EUCH HELFEN, UM INNOVATOR:INNEN SCHNELLER UND UNBÜROKRATISCHER ZU UNTERSTÜTZEN?

RL: SPRIND möchte eine maßgeschneiderte, staatliche F&E-Projektförderung etablieren, ohne starre Fördermittelrichtlinien. Dazu möchten wir die bewährten Instrumente aus dem Venture-Capital-Geschäft für die Frühphasenfinanzierung anwenden. Mit zunehmender Marktreife des Projekts nimmt die staatliche Unterstützung ab, während die Finanzierung durch private Mittel zunimmt.

BD: Dieser differenzierte Ansatz zur Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Projekts hebt sich stark von aktuell verfügbaren Förderprogrammen ab und erhöht die Erfolgschancen der Projekte. Wir möchten das bestehende Instrumentarium um zwei Werkzeuge ergänzen. In der Projektfinanzierung wird die Unterstützung eines kleinen Pauschalprojekts eingeführt - SPRIND start. Es gibt zusätzlich eine Projektfinanzierung, die zwischen zwei Phasen unterscheidet. Je näher an der Grundlagenforschung, desto höher ist die Förderintensität. Die zweite Phase der Projektfinanzierung ist an einen privaten Eigenanteil gebunden. Im Rahmen der Unternehmensfinanzierung kann SPRIND die Unternehmensgründung unterstützen. Für weiter fortgeschrittene Projekte wird die Möglichkeit einer sogenannten pari-passu-Beteiligung vorgesehen.
UM DIES ZU ERMÖGLICHEN, MÜSSTE SPRIND IM RAHMEN EINES BUNDESGESETZES „BELIEHEN WERDEN“ - WAS BEDEUTET DAS?

BD: Mit der „Beleihung“ kann eine hoheitliche Aufgabe auf juristische Personen des privaten Rechts oder auf natürliche Personen übertragen werden. Durch ein Gesetz zur Förderung und Finanzierung von Sprunginnovationen soll die SPRIND direkt beliehen werden. Diese Beleihung kann mit folgender Aufgabe verbunden werden: Der SPRIND wird das Recht und die Pflicht übertragen, eigenständig Projekte für Sprunginnovationen systematisch zu ermitteln, zu evaluieren und bedarfsgerecht zu finanzieren.

RL: Im Rahmen der Beleihung könnte SPRIND eigenständig über die Projektauswahl entscheiden und würde freie Hand bei der Wahl von Finanzierungsinstrumenten und -bedingungen im Rahmen haushaltsrechtlicher und beihilferechtlicher Vorgaben erhalten. Ergänzt um einen bundeshaushaltsrechtlichen Selbstbewirtschaftungsvermerk würde SPRIND weitgehende Freiheit hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Finanzierungen erhalten. Selbstverständlich gibt es weiterhin eine umfangreiche Berichtspflicht, um die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Mittelverwendung zu dokumentieren. Unserer Meinung nach ist eine Beleihung der beste Weg, um einen Rechtsrahmen zu schaffen, der es ermöglicht, eine öffentliche Mittelverwendung mit den finanziellen Entscheidungsmöglichkeiten und der Agilität privatwirtschaftlicher Instrumente zu vereinen. Nur so können wir Sprunginnovationen mit dem notwendigen „geduldigen Kapital“ in ausreichender Höhe finanzieren und in Europa entwickeln sowie auch halten.

SPRIND WURDE NAHEZU ZEITGLEICH MIT DEM BEGINN DER CORONA-PANDEMIE GEGRÜNDET. INWIEFERN HAT CORONA DEN AUFBAU DER BUNDESAGENTUR BEHINDERT UND VERLANGSAMT?

RL: Bei meiner Bewerbung als Direktor der Agentur habe ich eine verteilte Organisation mit digitalisierten Prozessen vorgeschlagen, bei der alle Mitarbeiter:innen vollständig remote arbeiten können. Denn es ist wichtiger, die besten und motiviertesten Leute zu bekommen, als dass alle Leute stets physisch in einem Büro zusammen sind. Das hat die Ministerien überzeugt und so haben wir es dann auch umgesetzt. Deshalb hat uns Corona in unseren Abläufen nicht so stark behindert, aber natürlich war das Umfeld insgesamt schwieriger.
Manche Kolleg:innen hat man erst nach einem Jahr endlich mal in „echt“ kennengelernt! Inzwischen haben wir eine „betriebsfähige“ Personalstärke von rund 50 Mitarbeiter:innen erreicht. Und wir haben seit Dezember 2021 auch ein eigenes Büro für die rund 25 Mitarbeiter:innen in Leipzig, das als zentraler Treffpunkt dient.

BD: Rückblickend betrachtet haben uns die administrativen und regulatorischen Vorgaben stärker ausgebremst als das Virus. Ein Beispiel: Wir mussten erst ohne Personal eine Ausschreibung für eine Personalagentur machen, bevor wir diese beauftragen konnten, uns bei der Personalsuche zu unterstützen. Im Nachhinein, wenn man das geschafft hat, kommt man sich ein wenig wie Münchhausen vor, der behauptete, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen zu haben.
Berit Dannenberg
SPRIND IST LAUT KABINETTSBESCHLUSS VOM AUGUST 2018 „ZUNÄCHST BEFRISTET ALS EXPERIMENTIERPHASE FÜR EINE LAUFZEIT VON ZEHN JAHREN GEPLANT“ MIT EINEM MITTELBEDARF VON INSGESAMT RUND EINER MILLIARDE EURO. WIE FÄLLT NACH DREI JAHREN EUER ZWISCHENFAZIT AUS?

BD: Sowohl seitens der beiden Ministerien BMBF und BMWK, welche die Governance ausüben, als auch von Vertreter:innen des Bundestages erhalten wir sehr viel Zuspruch zum bisher Erreichten. Das spiegelt sich auch in einer deutlichen Erhöhung der finanziellen Mittel für SPRIND in den Jahren 2022 und 2023 wider. Das freut uns sehr und ist natürlich ein enormer Ansporn. Stellvertretend für alle Unterstützer:innen danken wir an dieser Stelle unseren Ansprechpartner:innen in BMBF und BMWK ebenso wie unseren Aufsichtsrät:innen für ihre Zeit und ihr außergewöhnliches Engagement: Ohne sie hätten wir es nicht so weit geschafft!

RL: Gemeinsam wollen wir - dem Motto des Koalitionsvertrages folgend - auch in den nächsten Jahren „Mehr Fortschritt wagen“. Wir wollen SPRIND zum „One-Stop-Shop“ für die Identifizierung und Inkubation von bahnbrechenden Zukunftstechnologien, zum Reallabor für niedrigschwellige, effiziente und schnelle Innovations-Entwicklung und -Finanzierung weiterentwickeln. Das ist unsere Mission.

„Sowohl seitens der beiden Ministerien BMBF und BMWK, welche die Governance ausüben, als auch von Vertreter:innen des Bundestages erhalten wir sehr viel Zuspruch zum bisher Erreichten.“