Hallo Birgitta Wolff!

Wie bremsen unbewusste Vorurteile weibliche Gründerinnen aus? Was fasziniert Sie an der Erfindung der Waschmaschine? Und: Wie schaffen wir es mit deutschen Innovationen höher zu zielen?
Erzählen Sie doch mal!

WAS MACHEN SIE PROFESSIONELL SO DEN GANZEN TAG? IN WELCHEM FELD/IN WELCHER DISZIPLIN GENAU ARBEITEN SIE?

Zurzeit sitze ich – wie viele von uns – am Arbeitsplatz im Homeoffice und nehme an vielen Video-Sitzungen teil. Ich bin BWL-Professorin an der Goethe-Uni in Frankfurt; zurzeit im Sabbatical. Eine wunderbare Auszeit, in der ich wieder zum Lesen, Denken und Schreiben komme. Und natürlich auch viel mehr Zeit habe für die Aufsichtsratssitzungen der SPRIND.

WIE KAM ES DAZU, DASS SIE SICH AUSGERECHNET FÜR DIESES FELD/DIESE DISZIPLIN SO INTERESSIERTEN? WANN FING DAS AN? WIE GING ES WEITER?

Das Thema der SPRIND? Wissensintensive Innovationen? Seit vielen Jahren arbeite ich in oder für die Wissenschaft. Mich nervt, dass wir in Deutschland so oft die PS nicht auf die Straße bringen. Ich freue mich, wenn ich dazu beitragen kann, dass das endlich besser wird.

WELCHE KARRIERE-STEINE LAGEN IHNEN IM WEG UND WIE HABEN SIE DIE WEGGERÄUMT?

Frauen werden im Arbeitsleben noch immer oft unbewusst mit anderen Erwartungen konfrontiert als Männer, und ihr Verhalten wird auch anders bewertet. Nachdem offen diskriminierendes Verhalten seltener wird, stört mich das umso mehr. Da hilft beständiges Hinterfragen solcher Muster in Kombination mit strukturellen Veränderungen. Dann ändert sich hoffentlich etwas.
Birgitta Wolff
Birgitta Wolff
EMPFANDEN SIE IHR GESCHLECHT FÜR IHRE KARRIERE ALS VORTEIL, NACHTEIL ODER NEUTRAL?

„Unconscious bias“, also unbewusste Vorurteile sind ein Thema, das wir zwar inzwischen theoretisch gut kennen. Aber praktisch ist das Problem meiner Erfahrung nach noch lange nicht gelöst. Andererseits: Vor allem zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn – tief im letzten Jahrhundert – konnte es in gewisser Weise auch von Vorteil sein, weiblich und jung zu sein. Das war selten und fiel auf. Daraus ergaben sich aus meiner Sicht auch Chancen. Ich muss zugeben: Ich habe da meist nicht drüber nachgedacht, sondern versucht, gute Ideen zu entwickeln und die dann mit Leidenschaft umzusetzen. Wenn man alles, was man macht, möglichst gut und engagiert macht, geht es auch immer spannend weiter.

WAS TREIBT SIE AN UND WEITER? (WAS SORGT FÜR IHRE VERTIKALSPANNUNG?)

Ideen, die mich begeistern. Menschen, die mich inspirieren. Und Vernetzungen, zu denen ich beitragen kann.

WELCHE SPRUNGINNOVATION HAT SIE AM MEISTEN BEEINDRUCKT?

Mich faszinieren Innovationen, die ihre weitreichendsten Wirkungen letztlich stärker im Sozialen als in der Technik entfalten. Eine solche Innovation war die Erfindung der Waschmaschine. Deren bester Effekt war aus meiner Sicht, dass Frauen auf einmal auch Zeit hatten, etwas anderes zu tun als nur die verschmutzten Hemden ihrer Gatten zu schrubbeln. Die umfangreiche Nutzung von Videokonferenztechnik gefällt mir auch gut: Durch die Vermeidung von Reisen kann die Umwelt entlastet und das Arbeitsleben vieler deutlich entschleunigt werden.
WIE SEHEN SIE DIE INNOVATIONSKULTUR UND -LANDSCHAFT IN DEUTSCHLAND (UND IN EUROPA)? WAS LÄUFT GUT? WAS LÄUFT NICHT? WAS BRAUCHEN WIR IN DEUTSCHLAND, UM MEHR ERFOLGREICHE INNOVATIONEN HERVORZUBRINGEN?

Ich frage mich immer wieder, warum das viele nach Anlagemöglichkeiten suchende Geld, das zurzeit im Niedrigzins-Markt herumwandert, nicht die vielen potentiellen Start-Ups aus der Wissenschaft besser findet. Hier ist gerade in Deutschland noch viel zu tun. Aber es gibt ja zunehmend Instrumente, die hier ansetzen. Die SPRIND gehört unbedingt dazu. Auch an der Goethe-Uni haben wir die Möglichkeiten der Stiftungsuniversität genutzt und in meiner Zeit als Präsidentin einen Fonds für Risikokapital – u.a. gespeist aus privaten Quellen – aufgebaut, um vielversprechende Gründungen aus der Wissenschaft besser anschieben zu können.

Was aus meiner Sicht schon relativ gut funktioniert, ist die Diffusion von exzellentem Know-How in die Breite, auch in die mittelständischen Unternehmen. Das hängt mit der „Stärke in der Breite“ des deutschen Ausbildungssystems, auch des Hochschulsystems, zusammen, wie auch eine Studie von Harvard-Ökonomen bestätigte. Dort wunderten sich viele, warum die deutsche Wirtschaft insgesamt so gut dasteht, wenn doch die großen Einhörner offenbar eher woanders entstehen. Wenn wir zu der Innovationskraft in der Breite auch öfter mal ein Biontech hinbekämen, wäre das klasse! Ein weiteres gutes Thema für Innovationen in Deutschland kann auch Green IT werden. Auch hier ist dringender gesellschaftlicher Handlungsbedarf, damit uns angesichts der allgemeinen Digitalisierungseuphorie nicht irgendwann der explodierende Energiebedarf stranguliert.

WO/IN WELCHEM SEKTOR/FELD/BEREICH FEHLT ES BESONDERS AN INNOVATIONEN?

Wir schauen bei Innovationen immer vor allem auf die Wirtschaft. Mir fehlen aber auch Innovationen im öffentlichen Sektor, besonders beim Bürokratieabbau. Hier könnte durch Fantasie, Mut und kluge Digitalisierung so viel erreicht und Gutes entfesselt werden!
Birgitta Wolff
Birgitta Wolff
IST ES WICHTIG, WISSENSCHAFTLERINNEN UND INNOVATORINNEN ANDERS UND STÄRKER ZU UNTERSTÜTZEN? HABEN SIE IDEEN DAZU?

In der Sonntagsausgabe der FAZ vom 2. Mai war ein wunderbarer Beitrag, in dem sehr deutlich beschrieben wurde, wie unbewusste Zuschreibungen und ungleiche Bewertungen auch potentielle Gründerinnen ausbremsen – obwohl nach einer Studie von BCG Gründerinnen pro investiertem Dollar 78 Cent erwirtschaften, Gründer nur 31 Cent. Es wird auch beschrieben, wie ein und dasselbe Verhaltensmuster am Kapitalmarkt bei Gründerinnen finanziell bestraft, bei Gründern belohnt wird. Kurz und gut: Zurzeit faszinieren mich Instrumente, die den „unconscious bias“ aushebeln. Es muss Schluss damit sein, dass Frauen durch Verhalten, das bei Männern gelobt würde, ein Strick gedreht wird! Ich unterstütze eine Initiative, die mit Studierenden einer künstlerischen Hochschule eine kluge mediale Awareness-Kampagne für derartige geschlechtsspezifische Zuschreibungen und ungleiche Bewertungen entwickeln will. Und ich unterstütze gerne Ideen und Maßnahmen, die dazu beitragen, familiäre Leistungen von Frauen stärker zu würdigen oder dysfunktionalen Selbstselektionsmechanismen vorzubeugen, z.B. bei Berufungsverfahren. Gleichstellung braucht neben der Awareness für Ungleichheiten auch konkrete strukturelle Regeländerungen in den Organisationen.

WELCHE SPRUNGINNOVATION WOLLEN SIE UNBEDINGT VERWIRKLICHT SEHEN? / WELCHES GROßE PROBLEM WÜRDEN SIE GERNE LÖSEN?

Prävention bzw. Heilung schwerer Krankheiten und Reduzierung der Umweltbelastungen.
Birgitta Wolff ist seit vielen Jahren Grenzgängerin zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Nach einer Lehre studierte sie Wirtschaftswissenschaften und Philosophie in Witten/Herdecke, ging zur Promotion und Habilitation an die Münchener Uni. Immer wieder gab es Ergänzungen durch längere Auslandsaufenthalte, z.B. bei der Harvard University, in Stanford oder Georgetown, oder Praxisepisoden. Von insgesamt sechs Rufen auf Lehrstühle nahm sie den nach Magdeburg und später den nach Frankfurt/M. an. Die Frankfurter Goethe-Uni leitete sie sechs Jahre als Präsidentin. Davor diente sie einige Jahre als für Wissenschaft, Schulen, Kultur und Wirtschaft zuständige Ministerin in der Landesregierung von Sachsen-Anhalt. Zu ihren Mandaten gehören neben dem Aufsichtsrat der SPRIND u.a. der Verwaltungsrat des ZDF, das Kuratorium der VW-Stiftung und die Mitarbeit im Hightech Forum der Bundesregierung.