Verena Pausder: Zukunftsoptimistisch und unternehmenslustig

Was haben wir in Zeiten von Distanzunterricht gelernt? Warum sollten unsere Schulen digitaler werden? Und wie schaffen wir in der Politik neue Vielfalt? Ein Interview.

Das Glas ist für Verena Pausder immer halbvoll – und den fehlenden Schluck gibt sie gern selbst dazu: Die Start-up-Unternehmerin ist grundoptimistisch und sprüht vor Energie und Ideen. In ihrem Buch „Das Neue Land“ macht sie deshalb nicht nur Lösungsvorschläge für die Bildung und Digitalisierung – Bereiche, in denen sie seit Jahren arbeitet. Ihr Blick geht auf die Gesellschaft als Ganzes: Wie kriegen wir mehr Chancengerechtigkeit, Zusammenhalt und die Lust zur Mitgestaltung hin? Und oft landet Verena Pausder dann doch wieder bei ihrem Herzensthema Bildung.

ZUM THEMA SCHULE FALLEN EINEM IMMER VIELE UNZULÄNGLICHKEITEN EIN. MACHEN WIR ES MAL UMGEKEHRT. WELCHES WAREN FÜR SIE DIE POSITIVEN ERFAHRUNGEN IN ZEITEN VON DISTANZUNTERRICHT?

Verena Pausder: Die Lehrerinnen und Lehrer sind über sich hinausgewachsen ebenso wie die Schulleiterinnen und Schulleiter. Wir waren kreativ, mutig und flexibel. Alles Eigenschaften, die man nicht mit Schule assoziiert. Und was mir auch Mut macht ist, wie resilient unsere Kinder sind. Natürlich haben die Schulschließungen Spuren besonders bei den Kindern hinterlassen, die zu Hause weniger Unterstützung haben. Aber generell haben die Kinder alle Veränderungen mitgemacht – Wechselunterricht, Tests, zu Hause lernen – und dabei tolle Projekte auf die Beine gestellt.

WAS KANN MAN DAVON IN DIE NACH-PANDEMIE-ZEIT MITNEHMEN?

Dadurch dass Klassenstunden nicht mehr rigide auf 45 Minuten begrenzt waren, haben wir die Leine für die Kinder länger gelassen. Sie haben sich Zeit für die Sachen genommen, die sie besonders interessieren oder in denen sie gut sind, und haben sich tief eingefuchst – mit beeindruckenden Ergebnissen. Der Lehrplan müsste verschlankt und entrümpelt werden. Dann wären die Lehrerinnen und Lehrer nicht vorrangig damit beschäftigt, im Unterricht Stoff zu vermitteln. Der Unterricht wäre offener, und die Schüler hätten mehr Freiraum für Kreativität.

Verena Pausder

PROFITIEREN VOM OFFENEN PROJEKTUNTERRICHT NICHT VOR ALLEM DIE STARKEN SCHÜLER, WÄHREND SCHWÄCHEREN DIE VORAUSSETZUNGEN FEHLEN, DIE CHANCEN ZU NUTZEN?

Wenn wir in den HABA Digitalwerkstätten ein Labyrinth gebaut und den Kindern gesagt haben: „Überlegt mal, wie der Roboter da durchkommt“, dann haben sie Lösungen gefunden. Klar, einige Kinder brauchen mehr Unterstützung. Aber die können Lehrer ja eher geben, wenn sie nicht vorne an der Tafel stehen und 30 Kindern gleichzeitig eine Aufgabe erklären müssen.

DIE FORDERUNG „SCHULE SOLL DIGITALER WERDEN“ IST BEKANNT, ABER AUCH ETWAS NEBELHAFT. DESHALB: WELCHE DIGITALEN FORMATE SOLLTE ES IHRER ANSICHT NACH UNBEDINGT GEBEN UND WARUM?

Beschäftigung mit digitaler Technik macht dann Sinn, wenn man damit etwas Kreatives schafft oder individuellerer Unterricht möglich ist. Nehmen wir als Beispiel für Kreativität die Erstellung eines virtuellen Parcours, um die Schule und Umgebung kennenzulernen: Um den zu gestalten, muss man in verschiedenen Quellen recherchieren, Bilder und Text zusammenbringen und sich passende Formate für Fragen und Antwortmöglichkeiten überlegen – alles sehr anspruchsvolle Aufgaben. Genauso sind digitale Dokumente besonders gut dafür geeignet, dass man sie gemeinsam bearbeitet, was auf Papier komplizierter und unhandlicher ist. Was mit digitaler Bildung hingegen nichts zu tun hat, ist, das Mathebuch auf dem Tablet zu öffnen oder eine Videokonferenz abzuhalten. Das sind Vermittlungswege von Bildung – und für mein Verständnis in Nicht-Pandemie-Zeiten nicht die wichtigsten. Denn Schule ist in erster Linie ein sozialer Ort, an dem Kinder zusammenkommen und gemeinsam lernen. Idealerweise in Zukunft nicht nur analog, sondern auch digital.

KÖNNEN SIE DIE POSITION NACHVOLLZIEHEN, DASS MAN GRUNDSCHULEN VON DIGITALEN MEDIEN GANZ FREIHALTEN SOLL?

Wenn es nur um den digitalen Konsum gehen würde, ja. Den müssen wir nicht lernen, den beherrschen wir von alleine. Aber um zu verstehen, wie digitale Medien funktionieren und diese irgendwann mitgestalten zu können, ist die Grundschule nicht zu früh. Kinder bekommen durchschnittlich mit acht Jahren ein Smartphone. Zurzeit sind wir in Deutschland vor allem Konsumenten der Digitalisierung, mit allen negativen Folgen wie der Smartphone-Abhängigkeit. Bei der Gestaltung der Technologie aber hinken wir hinterher. Es gibt nicht genug Ausbildungsgänge, IT-Studiengänge werden zu wenig forciert, und Kampagnen, die junge Menschen für diesen Bereich gewinnen, finden nicht statt. Stattdessen fragen wir: „Muss jetzt jeder programmieren können? Brauchten wir früher doch auch nicht ...“ Doch vor allem für Mädchen ist es wichtig, dass sie nicht nur Videos auf TikTok schauen, sondern auch selbst mal einen Stop-Motion-Film drehen, die moderne Version des Daumenkinos. Das können schon Achtjährige und das macht ihnen Riesenspaß. Wenn Mädchen dagegen erst mit 14 eine Stunde IT-Unterricht die Woche bekommen, fehlt oft schon das Selbstvertrauen in ihre technischen Fähigkeiten

SCHLAGEN SIE DESHALB EINE „QUOTE VON UNTEN“ VOR, ALSO DASS ES IN NATURWISSENSCHAFTLICHEN LEISTUNGSKURSEN UND STUDIENGÄNGEN EINEN FESTEN MÄDCHEN - BEZIEHUNGSWEISE FRAUENANTEIL GEBEN MUSS?

Wenn unser Ziel eine divers besetzte Führung in Unternehmen ist und die Jobs der Zukunft eher technische sind, dann müssen wir jetzt anfangen, Mädchen massiv zu fördern. Sonst bleibt der Anteil weiblicher Vorstände und Start-up-Gründerinnen im einstelligen bis niedrigen zweistelligen Bereich. Eine Quote soll nicht bedeuten, dass Mädchen, die keine Affinität zu Naturwissenschaften haben, in den Physik-Leistungskurs geschubst werden. Aber Schulen und Universitäten sollen sich stärker anstrengen, um talentierte Frauen für MINT*-Fächer zu gewinnen und vor allem auch in den Studiengängen zu halten. Andere Länder zeigen, dass es geht: In den USA platzen Camps, in denen Mädchen das Programmieren lernen, aus allen Nähten, und ein kleines, relativ armes Land wie Armenien baut Bildungszentren auf, in denen Zehntausende Jugendliche kostenlos moderne Technologien ausprobieren können.

Verena Pausder

WENN IHNEN DIE VIELFALT IN DER WIRTSCHAFT EIN ANLIEGEN IST, WIE SIEHT ES IN DER POLITIK AUS? PARLAMENTE SIND, WAS BERUF UND HERKUNFT ANGEHT, SEHR HOMOGEN...

Wer für ein Mandat kandidiert, ist entweder Berufspolitiker oder hat einen Beruf, in den er ohne Probleme zurückkehren kann, ist also oft verbeamtet. Wir brauchen Politiker, die das System und ihre Materie aus dem Effeff kennen. Aber es braucht auch Impulse von außen, damit Politik nicht zu sehr im eigenen Saft schmort. Mein Vorschlag ist, dass jeder vierte Listenplatz an eine Persönlichkeit geht, die vorher nicht in der Politik und vielleicht nicht einmal in einer Partei war. Die Parteien müssten sich dann aktiv bemühen, solche Querwechsler zu gewinnen und sie auch so einarbeiten, dass sie mitgestalten können.

KÖNNTEN SIE SICH VORSTELLEN, SO EINE QUERWECHSLERIN ZU SEIN?

Grundsätzlich schon, auch weil ich die Idee nicht nur propagieren will, sondern zeigen möchte, dass sie funktioniert. Aber es muss eine Position sein, auf der ich meine Kompetenz einbringen kann. Ich bin mit anderen Unternehmern in einem Digitalbeirat um zu erarbeiten, wie ein Digitalministerium sinnvoll aufgebaut sein könnte. Wenn ein solches tatsächlich entsteht und es darin eine Aufgabe für mich gibt, biete ich mich an. Aber wenn nicht, dann entwickle ich eine neue Unternehmensidee. Lust auf etwas Neues habe ich in jedem Fall.

VERENA PAUSDER Die studierte Betriebswirtin gründete nach einigen Jahren als Angestellte verschiedene Unternehmen. Besonders erfolgreich war „Fox & Sheep“, das Spiel-Apps für Kinder entwickelt und die HABA Digitalwerkstätten. Im ersten Lockdown stellte die Mutter (42) dreier Kinder die Bildungsplattform homeschooling-corona.com als Hilfe für Familien und Schulen online. Zudem initiierte sie den großen Bildungs-Hackathon* #wirfürschule. Verena Pausders Buch „Das Neue Land“ ist im Murmann-Verlag (200 Seiten, 20 Euro) erschienen.

Ursprungsquelle: alverde, das Kundenmagazin von dm-drogerie markt

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